Mittlerweile haben wir viel Zeit verloren. Die Lieferung des Ersatzteiles und der starke Wind waren nicht geplant. Ich hoffe, dass wir gut voran kommen und vielleicht durch guten Wind zügig voran kommen. Der Wind der vorheringen Tage hat abgenommen und wir segeln dem Sonnenuntergang entgegen.
Wind und Wetter sind uns freundlich gesonnen und wir kommen gut voran.
Pascal versucht sich immer und immer wieder im Pal- und Webleinstek. Die Gastflagge für Grönland wird gehisst.
Am nächsten Morgen finden wir uns im Nebel wieder.
Die Luft ist kalt. Wir befinden uns allesamt unter Deck, als plötzlich ungwohnte, nicht allzu starke Schläge zu hören sind. Papa schaut an Deck nach dem Rechten.
Eis! Das ist Eis!
Wir sind natürlich neugierig und eilen nach oben. Tatsächlich: Eis! Da schwimmen Eisbrocken im Wasser.
Der Nebel scheint verflogen. Weiter hinten ist eine geschlossene Eisschicht zu sehen. Fasziniert machen wir Bilder und drehen aufgrund der Eisfläche nach Westen ab.
Unser Schiff ist nicht verstärkt und hat auch keinen befestigten Eisbrecher, also tuckern wir an der Eiskante entlang und hoffen, einen Weg hindurch zu finden. Auf dem Radar ist das Eis zu erkennen - allerdings kein Durchkommen.
Papa wollte doch unbedingt Grönland sehen und ggf. ein paar Gletscher... Wir beschließen, abzudrehen und keinen weiteren Sprit zu verschwenden, um einen Durchgang, den es vielleicht gar nicht gibt, zu finden.
Kaum ist der Entschluss gefasst, wird uns der Blick auf die Berge Grönlands gewährt.
Das Eis verwehrt uns die Fahrt nach Grönland - also setzen wir neuen Kurs auf Jan Mayen.
Der Wind lässt einen nordöstlichen Kurs zu. In den geschätzten 48 Stunden versuchen wir immer wieder, nach südost zu kreuzen. In einer Ausgabe der "Yacht" habe ich einen Spruch gelesen:
An diesen Spruch muss ich auf diesem Streckenabschnitt so oft denken - wir erleben es.
Südlicher Kurs? Nein, heute nicht!
Auch Jan Mayen ist von Wolken umragt. Als wir die Insel sehen, befinden wir uns am nördlichen Teil der Insel.
Papa wollte von Westen her ankern. Südlich ist unmöglich - wir drehen uns im Kreis, beim Versuch, nach Süden zu gelangen. Nach mehrfachem Wenden, Halsen, Drehen mache ich den Vorschlag, weiter nach Norwegen zu segeln. Selbst wenn wir mit viel Mühe Richtung Süden kämen - es kostet Kraft, Zeit und Nerven - zumal wir dann ankern und am kommenden Tag an Land gehen würden und somit wieder Zeit verlieren würden - ja, langsam mache ich mir Sorgen, dass ich nicht rechtzeitig zurück ins Büro komme.
Wir segeln also weiter nach Norden und versuchen, die Insel mit genügend Abstand zu umfahren. Bei Dunkelheit, Wind und Wellen zieht sich dieses Stück ganz schön. Ich lege mich schlafen.
Am Morgen wecken mich Rufe von oben.
"Wale in Sicht"
Die Sonne geht auf, der Vulkan von Jan Mayen erstreckt sich hinter uns gen Himmel und vor der Insel sieht man immer wieder Fontänen von Walen. Ein traumhafter Anblick!
Da es aber SEHR frisch ist, verkrieche ich mich wieder in meinen Schlafsack.
Die Heizung funktioniert weiterhin nicht. Als wir über deren Reparatur sprachen, hatte ich lediglich trockene Kälte im Sinn. Ich übernachte sonst auch bei Minusgraden im Schlafsack in der Hängematte. Kleidung, die mich im Zwiebelprinzip warm halten soll, hatte ich ja dabei. Was ich unterschätzt habe, ist die Feuchtigkeit.
Die beiden Trockenanzüge, die ich mir gebraucht zugelegt habe, ließen mich rasch im Stich. Beim blauen Anzug lösten sich die doppelt verklebten Nähte - Wasser kam hinein. Der gelbe Anzug passte von der Körpergröße her - jedoch benötigte ich gute 10 Minuten, um irgendwie mit dem Hintern hinein zu gelangen. Dieser Anzug fiel also auch aus.
In der einen Nacht, meine Füße waren gerade wieder warm geworden, verweigerte ich schlichtweg meine Wache. Ich saß zuvor 5 Stunden draußen und war bereits nach 10 min nass bis auf die Haut. Kopfschmerzen kündigten sich an. Ich besaß keine trockene Hose mehr und die, die nass waren, trockneten einfach nicht.
Papa ging an Deck und löste Pascal ab. Ich versuchte, weiterzuschlafen. Vor uns lagen noch gute zwei Tage bis zur Küste. Nach etwa zwei Stunden wurde ich wach - ich wusste, ich bekäme ein schlechtes Gewissen, wenn sich Papa nun nach seiner (eigentlich meiner) Schicht in die Koje legen würde und ich, weigerte mich immernoch. Also stand ich auf, machte unter Deck klar schiff und löste ihn dann ab. Meine Art zu zeigen:
Ich bin wieder dabei!
Auch Pascal kam mehrfach an seine Grenzen. Durch den erneuten Ausfall des Autopilots musste immer jemand am Steuer sitzen und mit enormer Energie gegen die Wellen angehen.
Ich hatte für diesen Moment meinen Tiefpunkt überwunden und sprach auch mit Pascal, dass wir das nur gemeinsam schaffen würden - auch wenn wir bei Bedarf nur eine kurze Schicht übernähmen.
Umso näher wir der norwegischen Küste kamen, umso flacher wurden die Wellen. Der Wind flaute nach und nach ab. Am Ende dümpelten wir mit 3 - 5 Knoten vor uns hin.
Hier könnte sogar Pascal sich entspannen - ohne Übelkeit - und bot an, Frühstück zu machen.
Papa versuchte, aus den beiden defekten Autopiloten, einen funktionsfähigen zusammenbauen zu können. Der erste Defekt war ein gerissener Riemen. Beim zweiten streikte der Antrieb. In Kombination lies sich also ein Autopilot basteln.
Reparatur Idee Nr 1: Einen gerissenen Riemen mit Lochband "flicken"
Die längste Zeit fuhren wir mit der Genua. Seit Island war das Schlauchboot so an Deck befestigt, dass es die Nutzung der Fock verhinderte. Beide Vorsegel lassen sich auf- und einrollen. Das Seil der Genua riss. Um "Wind aus den Segeln zu nehmen", holten wir die Genua herunter und zurrten diese entlang der Reling fest.
Das Schlauchboot wurde an einem Seil befestigt und über Bord geworfen, so dass es hinter dem Schiff hergezogen wurde. Nun war die Fock wieder klar zum Einsatz.
Beim Versuch, das Großsegel zu setzen, war Pascal das Fall und dessen Ende (Seil zur Befestigung am Großsegel, um diesen nach oben zu ziehen oder herunter zu lassen) aus der Hand gerutscht. Ein weiteres Seil hatte sich gelöst und tanzte munter durch den Wind.
Die Seile wickelten sich um die Fock und verhakten sich so, dass wir die Fock, die etwa zur Hälfte offen war, weder einholen noch vergrößern konnten. Aufgrund des Wellengangs war an einen Aufstieg in den Mast nicht zu denken.
Wir saßen an Deck - bei Sonne und sanftem Wellengang erscheint uns der Wahnsinn der Nacht, das Schaukeln und abdriften, wie ein böser Traum und plötzlich so weit weg.
Mit jedem unangenehmen Faktor, der abnimmt oder gar ganz verschwindet, steigt unsere Laune. Kälte, Nässe, Wind und Wellen - das Zusammenspiel bringt einen an seine nervlichen Grenzen. Kochen fällt bei Seegang nahezu aus. Einen Tag habe ich - wenn ich recht erinnere - nur zwei Datteln gegessen. Da passte ich dann auch wieder in den gelben Trockenanzug, den ich als letzte Möglichkeit, relativ trocken eine Schicht zu überstehen, erneut versuchte anzuziehen.
Nun waren es noch etwa 300 Seemeilen bis zur norwegischen Küste und den Lofoten. Noch immer - bereits seit Island - war weit und breit kein Schiff zu sehen. Ich hatte auch hier im Norden mit Bohrinseln oder zumindest Frachtern gerechnet. Tatsächlich trafen wir erst kurz vor Bodø auf weitere Schiffe.
Am Montag, den 17.08.2020 liefen wir im Hafen von Bodø ein. Pascal und ich hatten unsere Taschen größtenteils bereits gepackt.
So kümmerten wir uns nun um die Segel und die verwickelten Seile. Dazu kletterte Pascal hoch in den Mast.
Mit Anschluss des Stromkabels änderte sich das Klima unter Deck sofort. Meine SoftshellJacke hing zuvor 3 Tage unter Deck und wurde dennoch nicht trocken. Ohne Heizung würde ich einen solche Tour nicht nocheinmal machen.
Pascal verließ uns gegen 18 Uhr (Couchsurfing-Unterkunft) und Papa und ich fuhren zum Flughafen. Wir wollten noch gemeinsam etwas essen. Da die Zeit schon knapp wurde, wollte ich zunächst das Gepäck aufgeben. Es gab aber keinerlei Lokalität, die offen hatte.
Somit verabschiedeten wir uns. Papa fuhr zurück in die Stadt bzw. zum Hafen, ich wartete auf meinen Flug. Nach etwa 1 1/2 Stunden kam ich in Oslo an.
Das erste Haare bürsten nach über 10 TagenDort zog ich mich in den Ruhebereich zurück und versuchte, ein wenig zu schlafen. Um kurz vor 7 ging mein Flug Richtung Frankfurt.
Der Himmel über Frankfurt war nur leicht bewölkt. Ich liebe diesen Ausblick!
Am Flughafen wurde ich abgeholt - vielen lieben Dank für den Transfer :)
Daheim angekommen schmiss ich die Waschmaschine an und mich unter die Dusche - um anschließend im Büro meiner Arbeit nachzugehen. Nun arbeite ich bereits seit einer Woche wieder - der Urlaub für dieses Jahr ist aufgebraucht.
So schlimm die einzelnen Augenblicke auch gewesen sein mögen: Ich würde wieder segeln gehen.
Vielleicht nicht wieder unbedingt in kalte Gewässer (zumindest nur mit funktionierender Heizung)...
Papa ist nun alleine an Bord. Sein Plan war ja, eine Woche für die Lofoten und dann etwa einen Monat nach süden entlang der norwegischen Küste Richtung Dänemark und Deutschland zurück nach Travemünde zu segeln.
Ich hoffe, dass keine größeren Schäden entstanden sind und sich alles reparieren lässt. Zum Ende haben wir uns mehrfach gefragt, was eigentlich noch ganz geblieben ist.
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